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Wer ist „schuld“ am Abriss von Lützerath?

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Bürobesetzung, eingeschlagene Fensterscheiben, Abladung von Briketts, mediales Bashing von allen Seiten: die Grünen müssen gerade ziemlich viel einstecken. Doch ist es gerechtfertigt, sich so auf eine der politisch verantwortlichen Gruppierungen zu fixieren?

Fassen wir mal die Fakten zusammen: Acht Dörfer waren im rheinischen Braunkohlerevier noch vom Abriss bedroht, sieben sind jetzt davor bewahrt worden, nach Verhandlungen, an denen Grüne beteiligt waren. Ja, sieben und nicht fünf: das südlich von Lützerath gelegene Holzweiler und das zu Düren gehörende Morschenich wurden schon bei früheren Umplanungen von der Abbaggerung ausgenommen. Dazu kommen drei große Landgüter, die flächenmäßig zusammen größer als Lützerath  sind. Die ursprüngliche Betriebsgenehmigung für die Braunkohleförderung galt einmal bis 2045, wurde also, in zwei Verhandlungsschritten, insgesamt um 15 Jahre verkürzt.

Das nun dem Abriss preisgegebene Lützerath war die kleinste der acht Ortschaften. Hier lebten einmal um die 100 Einwohner. Darin seien aber, so die Sprecherin der Stadt Erkelenz, auch die auf den Bauernhöfen einquartierten Saisonarbeiter mitgerechnet, die nach der Erntezeit turnusmäßig in ihre meist osteuropäische Heimat zurückkehrten. Dann sank die Einwohnerzahl auf etwa 20.

Es wurde also viel fürs Klima erreicht, auch schon zum Preis heftiger Anfeindungen. Dass es nicht mehr wurde, haben andere Entscheidungsträger in Land und Bund zu verantworten, die die längst überfällige Energiewende über Jahrzehnte verschlafen oder bewusst verschleppt und blockiert hatten. Beispiele kennen wir alle: die Abstandsregelungen für Windkraftanlagen, die Ignoranz gegenüber der Wasserstofftechnologie oder die ungünstigen Konditionen für Privatleute, die eine Photovoltaikanlage betreiben wollen.

Zu letzterem ein paar Zahlen: Ich muss meinen Solarstrom zum fixierten Preis von 9,5 Cent pro KW/h an den Stromkonzern verkaufen. Wer sich jetzt Solarstrom zulegen will, bekommt nur noch 7,5 Cent. Wenn ich nach Einbruch der Dunkelheit das Licht einschalte, muss ich den Strom zum Preis von bis zu 57,86 Cent pro KW/h zurück kaufen.* Das fördert nicht die Bereitschaft, an der Energiewende aktiv mitzuwirken: bisher wohne ich in einem von nur zwei solarbetriebenen Häusern einer 400 Meter langen und komplett von Eigenheimen gesäumten Straße.

Hier haben die Lobbyisten der Stromkonzerne also ganze Arbeit geleistet. Sie hatten leichtes Spiel: viele NRW-Kommunen halten Anteile an der RWE AG und preisen die Dividenden ebenso fest in ihr Budget ein wie die Gewerbesteuer von Kraftwerken und anderen örtlichen Betriebsteilen. Und natürlich steht auch immer die Sorge um die Arbeitsplätze im Raum. Dafür gingen früher auch Gewerkschafter mit dem Slogan „Ja zu Garzweiler 2!“ auf die Straße.

Auch bei der Atomenergie wurde neben der Bagatellisierung der Gefahren und unklaren Entsorgung lange mit dem Schutz der Arbeitsplätze argumentiert. Trotzdem setzte sich die Erkenntnis durch, sich von dieser Technologie wegen der Risiken zu verabschieden. Selbst die Regierung Merkel, die zuerst als Erfüllungsgehilfin der Industrie den bereits von den Rot-Grünen Vorgängern ausgehandelten Atomausstieg annullierte, besann sich nach dem Unglück von Fukushima eines Besseren und wollte die Meiler am liebsten noch schneller loswerden.

Die Hitzesommer der letzten Jahre, mit Waldbränden und wirtschaftsschädlichen Einschränkungen der Flussschifffahrt, und die Flutkatastrophe vom Juli 2021 hatten leider nicht die gleiche Wirkungskraft, um ein ähnlich radikales Umdenken bei der Klimadebatte auszulösen.  Wären die Zeichen der Zeit früher ins Bewusstsein gedrungen, könnte nicht nur Lützerath, sondern vielleicht auch das 2019 abgerissene Immerath noch stehen.

Erst wenn ein größenwahnsinniger Russe den Gashahn zudreht, besinnt sich sogar der FDP-Chef auf den Nutzen erneuerbarer Stromgewinnung und nennt sie „Freiheitsenergie“ – verpulvert aber gleichzeitig immer noch 2,5 Mrd. € Steuergeld für einen Tankrabatt, von dem die größten Spritfresser am meisten profitieren. Da nun aber die Energienot so groß wurde, dass selbst FDPler halbherzig umschwenken müssen, zeichnete sich schon im Vorjahr ab, dass Lützerath auf verlorenen Posten geriet.

Allein auf die Grünen einzudreschen, greift deshalb zu kurz. Und ob die 1,5°- Grenze nur wegen Lützerath reißt, während in China die Kohleförderung um das fünffache dessen erhöht wird, was nun unter dem Dorf herausgeholt wird, sei dahingestellt.

Damit soll das Engagement der Klimaaktivisti am Tagebau nicht als verfehlter Aktionismus abgetan werden. Es ist ein wirksames Mittel, die Klimadebatte im Gespräch zu halten und in der Gesellschaft ein besseres Bewusstsein dafür zu vertiefen. So bleibt zu hoffen, dass die Protagonisten nach der Räumung nicht den Mut verlieren und weiter aktiv bleiben. Denn es gilt nun, an anderer Stelle umso forcierter zu retten, was zu retten ist.

Andere Ziele für legalen Protest gibt es genug: der weiter zunehmende Absatz spritfressender Sträflich Umweltschädlicher Verkehrsmonster (SUV) mit <250 PS zeigt, wie wenig sich große Teile der Bevölkerung immer noch um die zukünftigen Lebensbedingungen auch ihrer eigenen Nachkommen scheren. Dasselbe zeigt sich beim Gedanken an die anfallenden Treibhausgase bei der Erzeugung von Billigfleisch oder Exotenobst aus Anbaugebieten, für die vorher Regenwald abgefackelt wurde. Und wenn rückständige Verkehrsplaner immer noch mehr Schneisen fürs Auto in die Landschaft schlagen oder verbreitern, während die Bahn verlottert. Wenn der FDP-Verkehrsminister die Diskussion um ein Tempolimit mit Rückendeckung seines Porsche-fahrenden Parteichefs mit Verweis auf fehlende Beschilderung verhohnepipelt und weiter ein Vielfaches mehr seines steuerfinanzierten Budgets für Straßen statt Schienen ausgibt. Wie wär’s also mal mit einer Blockade vor den Werkstoren von VW, Tönnies & Co.? Aktionen vor den brasilianischen und peruanischen Botschaften? Am Aldi- oder Lidl-Obstregal? Oder auch einfach mal einen Autoparkplatz als Stellfläche für 5-6 Fahrräder nutzen? Da gibt es viel anzupacken. Ich bin dabei!

Udo Slawiczek

*beispielhaft hier aktueller Tarif der Kölner Rheinenergie.