Wissenschaftler*innen und Studierende blockieren Eingang des Ministeriums für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie in Düsseldorf
Düsseldorf, 21.12.2022. Seit Mittwochmittag 13:10 Uhr blockieren 14 Wissenschaftler*innen und Studierende von Scientist Rebellion aus diversen Hochschulen und Universitäten in NRW den Eingang des Ministeriums für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie in Düsseldorf. Die Wissenschafts-Aktivist*innen verstreuten Kohle vor dem Ministeriumseingang und klebten großformatige wissenschaftliche Studien zur Klimakrise auf die Außenwände des Gebäudes an der Berger Allee. Mit der Aktion des zivilen Ungehorsams protestieren die Akademiker*innen gegen die beschlossene Zerstörung und Räumung des zur Kommune Erkelenz gehörenden Weilers Lützerath sowie gegen die Inanspruchnahme der darunter liegenden Kohlevorkommen.
Ministerin Mona Neubaur hatte Anfang Oktober gemeinsam mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und dem RWE-Vorstandsvorsitzenden Markus Krebber angekündigt, Lützerath dem Braunkohletagebau Garzweiler II zu opfern. Das neueste Gutachten des unabhängigen Energieanalysten Aurora von Ende November belegt jedoch, dass es zweifelhaft ist, ob die Kohle unter dem Dorf auch angesichts der aktuellen Energiekrise tatsächlich benötigt wird, um die Energieversorgung sicherzustellen. Die in Oxford angefertigte Analyse widerspricht damit den auf RWE-Daten basierenden Gutachten, auf deren Grundlage die Ministerien von Neubaur und Habeck die Zerstörung von Lützerath beschlossen hatten.
„Die Kohle unter Lützerath bei derart widersprüchlicher Studienlage freizugeben, ist politisch unverantwortlich. Bevor zwei Grün-geführte Ministerien, die neben Wirtschaft auch Klimaschutz im Namen stehen haben, eine solche Entscheidung treffen, braucht es evidenzbasierte Daten auf der Basis unabhängiger Messungen im Gelände und bis dahin ein Abrissmoratorium“, sagt Dr. Gudula Frieling, Theologin.
Mehrere Studien haben zudem bereits nachgewiesen, dass die nun im Gesetz zur Beschleunigung des Braunkohleausstiegs festgelegten Kohleabbaupläne inkompatibel mit dem Emissionsbudget des Stromsektors sind. „Anstatt dass die Regierung nun unter dem Druck von RWE und unter der Prämisse der Energieversorgung Fakten schafft, die einen Bruch mit dem Klimaschutzgesetz bedeuten, sollte eher der Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigt werden,“ sagt Maria-Inti Metzendorf, Gesundheitswissenschaftlerin.
Prof. Dr. Niko Froitzheim, Geologe an der Universität Bonn, warnt außerdem: „Die Tagebaukante hätte für eine Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens seit 2021 bereits nicht mehr weiterentwickelt werden dürfen. Die Verstromung der Kohle unter Lützerath widerspricht dem 1,5°C-kompatiblen deutschen CO2-Restbudget. Wenn Lützerath fällt, reißt Deutschland seine Klimaziele und es geht weiter auf der Schnellstraße in die Klimahölle. Wenn Lützerath bleibt, kann das der Anfang vom Ende des zerstörerischen fossilen Verbrennungssystems sein.“
Scientist Rebellion ist ein 2021 gegründeter Zusammenschluss von internationalen Wissenschaftler*innen und Akademiker*innen, die anlässlich des politischen Versagens in der Klimakrise zu zivilem Ungehorsam aufrufen. Die Wissenschaftler*innen sehen es als ihre Aufgabe, der Gesellschaft die physikalische Realität gegenüber der politischen und der von wirtschaftlichen Interessen geleiteten Fiktion zu verdeutlichen. Durch die eskalierende Klimakrise besteht die reale Möglichkeit einer globalen Katastrophe. Sie rufen mit ihren friedlichen Aktionen daher zur sofortigen Begrenzung der Klimakrise auf.
Hintergrund
[1] Aurora Energy Research (2022): Auswirkungen eines adjustierten Kohleausstiegs auf die Emissionen im deutschen Stromsektor (https://kohlecountdown.de/wp-content/uploads/2022/12/Aurora-Kohleausstiegspfad-und-Emissionen_01122022.pdf)
[2] Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (2022): Stromversorgung auch ohne russische Energielieferungen und trotz Atomausstiegs sicher – Kohleausstieg 2030 bleibt machbar (https://www.diw.de/de/diw_01.c.839636.de/publikationen/diw_aktuell/2022_0084/stromversorgung_auch_ohne_russische_energielieferungen_und_t___z_atomausstiegs_sicher_____kohleausstieg_2030_bleibt_machbar.html)
[3] Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (2021): Kein Grad weiter – Anpassung der Tagebauplanung im Rheinischen Braunkohlerevier zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze (https://www.alle-doerfer-bleiben.de/wp-content/uploads/2021/08/diwkompakt_2021-169.pdf)