NATUR /// Im Syndromkonzept, einer vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) entwickelten Methode für die Betrachtung von Problemen im Umwelt-, Wirtschafts-, Sozial- und Kulturbereich, wird Natur „als Begriff für die Ordnungsmuster „hochkomplexer Gefüge von Wechselwirkungen ökologischer Systeme“ und „Ergebnis konfliktträchtiger Evolutionsprozesse“ betrachtet, das „zurückschlägt, wo ihre Gesetzmäßigkeiten missachtet, ihre Ökosysteme zerstört und ihre Ressourcen geplündert werden“1“2. Doch in der Politik wird diese Analyse noch nicht in ausreichendem Maße als eine zu priorisierende Lenkungsverpflichtung im Sinne eines sozial verträglichen Naturschutzes bewertet. Stattdessen wird im Sinne der RWE Power AG, Betreiberin des mittlerweile 46 Quadratkilometer großen Braunkohlentagebaus Hambach (01-03), an fünf Aussichtspunkten versucht, unsere Wahrnehmung des Schauplatzes der Natur- und Umweltzerstörung zu verändern, indem man diesen wie ein erhabenes Naturerlebnis und als Freizeitort inszeniert. Dies versieht man dann noch mit dem pathetischen Label „terra nova“, Neues Land, gleich dem Namen der verlustreichen Antarktisexpedition unter Leitung von Robert F. Scott im Jahre 1910. So sind wir Menschen, Teil der Natur, verstrickt in viele Sachzwänge und ökonomisch getrieben durch das westlich geprägte Wachstumsdiktat, derzeit auf einem fragwürdigen Weg.
WALDVERNETZUNG /// Nachdem der Hambacher Wald nicht mehr für die bergbauliche Nutzung in Anspruch genommen werden darf, will die RWE Power AG den südöstlichen Teil der Grube bis in die Ortslage Manheim erweitern. Man benötige den dort lagernden Sand und Kies zur Stabilisierung der Böschungen und zur Rekultivierung der Abraumhalde „Sophienhöhe“. Dadurch würde jedoch die politisch vereinbarte Waldwiedervernetzung zwischen dem Hambacher Wald und dem östlich gelegenen FFH-Gebiet Steinheide unmöglich, da mit dem Manheimer „Sündenwäldchen“ das letzte dazu notwendige Trittsteinbiotop zerstört würde – ebenso wie der durch natürliche Sukzession entwicklungsfähige Bewuchs entlang der ehemaligen Autobahn A4. Umweltverbände, Bürgerinitiativen und Naturschützer fordern von RWE, das benötigte Material von der Abraumhalde „Sophienhöhe“ zu nehmen, statt erneut Wald und landwirtschaftliche Nutzflächen zu zerstören. Sie befürchten, der Energiekonzern könne, wie im Fall des am 1. Dezember 2021 abgeholzten „Bochheimer Wäldchens“ (04-06), Fakten schaffen und nun auch das „Sündenwäldchen“ roden. Um sich dem entgegen zu stellen, haben Umweltaktivisten das Wäldchen seit Anfang Oktober 2024 besetzt.
ROTE LINIE /// Während der gigantische Schaufelradbagger 290 (04-06) am 24.11.2024 in der ehemaligen Lage des Bochheimer Wäldchens Sand und Kies förderte, fand im Umfeld des mittlerweile fast vollständig zerstörten Ortes Manheim erneut eine Demonstration statt. Ungefähr 250 rot gekleidete Menschen trafen sich, um mit roten Bändern und Tüchern das Manheimer Sündenwäldchen und das Sperrgrundstück des BUND e.V. in einer „Roten Linie“ zu umschließen (siehe 07-12) und damit gegen die Rodung des Wäldchens und die Fortführung des Tagebaus zu demonstrieren.
SUKZESSION /// Der Hambacher Wald und auch der von RWE als „Manheimer Bucht“ geplante Erweiterungsbereich des Tagebaus sind wegen betriebsbedingter Grundwasserabsenkungen von einem massiven Wassermangel betroffen. Heiße Luftströmungen aus der Grube kommen in heißen Sommerphasen noch hinzu. In den regenreichen letzten Jahren konnte sich die Vegetation jedoch etwas erholen. Stellenweise ist natürliche Sukzession erkennbar, wie beispielsweise entlang der rückgebauten Autobahn A4. Dort lässt sich wieder eine größere Insekten- und Pflanzenvielfalt feststellen. Experten und Umweltverbände mahnen jedoch an, dass für den dauerhaften Erhalt der fragmentierten Biotope und deren Fauna eine Bewässerung und Vernetzung unbedingt erforderlich sei. Der BUND fordert daher, die Erweiterung des Tagebaus zu stoppen und den Bereich des Manheimer Fließes sowie die ehemalige Trasse der A4 durch natürliche Sukzession als Ökokorridor für die Waldvernetzung mit dem Bürgewald Steinheide zu nutzen (16).
1: Ivana Weber: Die Natur des Naturschutzes: wie Naturkonzepte und Geschlechtskodierungen das Schützenswerte bestimmen. Oekom-Verlag, München 2007, S.166-170. 2: zitiert nach Wikipedia: Artikel Natur.