Start | Rubriken | Wirtschaft & Umwelt | Aktionärsversammlung der Bayer AG bringt Sündenregister des Konzerns ins Bewusstsein

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Zur Corona-Pandemie war es nötig: Hauptversammlungen, die alljährlich pflichtgemäß von Aktiengesellschaften durchzuführende Zusammenkunft für alle Anteilseigner, dürfen seitdem auch virtuell, also per Live-Videoübertragung, durchgeführt werden. Der erste DAX-Konzern, der diese Möglichkeit nutzte, war 2020 die Leverkusener Bayer-AG.

Der kam die Neuerung sicher sehr gelegen: denn bei der letzten in Präsenz stattgefundenen Hauptversammlung 2019 im Bonner WCC mussten sich die Aktionäre noch durch ein Spalier von etwa 500 Umweltaktivisten, Medikamentengeschädigten, Imkern, Bio-Landwirten und sonstigen Protestlern, die sich durch diverse Chemieprodukte des Konzerns geschädigt sahen, peinlich berührt hindurchkämpfen.

Dabei herrscht auch bei den Aktionären seit langem schlechte Stimmung: denn seit der Übernahme des US-Agrarchemieproduzenten Montsanto 2018 ging der Aktienkurs immer weiter abwärts – von 137 € auf derzeit um die 26 €. Grund sind die chemischen US-Altlasten Glyphosat und das aus dem Vietnamkrieg nachwirkende Agent Orange sowie das von beiden Konzernteilen 50 Jahre lang fabrizierte Isolierungsmittel PCB, durch die der Konzern einer nicht enden wollenden Klagewelle mit unüberschaubar drohenden Kosten ausgesetzt ist. 

Deshalb ist es kaum verwunderlich, dass die für den Konzernvorstand lästige Pflichtübung auch nach der Pandemie weiterhin als Videoschalte stattfindet. Für dieses Jahr erfolgte dies am 26.04.2024.

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Ganz ließ sich der Ärger so aber doch nicht vom Hals halten. Denn auch auf diesem Wege meldeten sich kritische Aktionäre und Umweltverbände mit Redebeiträgen zu Wort. Allen voran die seit Jahren der Bayer-AG auf den Fersen bleibende Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG) mit Sitz in Düsseldorf. Immer wieder kam da vor Augen, dass sich Bayer mit diversen Firmenübernahmen so manches „faule Ei“ ins Nest geholt hatte. CBG-Sprecher Marius Stelzmann fasste an 18. Stelle von 30 Redebeiträgen zusammen:

„Das von Montsanto produzierte und im Vietnamkrieg massenhaft unter Verschleierung der Risiken als Entlaubungsmittel eingesetzte Agent Orange sorgt bis heute bei 3 Millionen noch lebenden Opfern für Gesundheitsbeschwerden und Missbildungen von Neugeborenen. Wann wird sich die Konzernleitung der Verantwortung stellen und Entschädigungen an die Opfer leisten?“

Auch mit der Übernahme von Schering handelte sich Bayer einigen Ballast ein: dessen Hormonpräparat Duogynon galt bis in die 1980er Jahre als Ursache für Missbildungen bei Neugeborenen. Zwei der Inhaltsstoffe werden bei Bayer immer noch für die Produktion von Verhütungspillen und Hormonpräparaten verwendet. Stelzmann prangerte die Blockadehaltung des Konzerns bei der Aufarbeitung der Schäden an, mahnte auch hier an die Entschädigungsleistung für die Opfer und fragte den Vorstand, wann die Produktion der besagten Inhaltsstoffe eingestellt werde.

Parallel zur Videokonferenz formierte sich eine kleine Gruppe von Aktivisti vor der Konzernzentrale in Leverkusen. Auch hier kamen vor laufender Kamera viele Fehlentwicklungen zur Sprache.

Der ehemalige Polizist Rolf Brombach erinnerte dabei an den Chemieunfall vom 27.07.2021: bei der Explosion von drei Tanks mit Bayer-Chemieabfällen gab es 7 Tote und 31 Verletzte. Die giftige Rauchwolke zog bis ins Ruhrgebiet. Als erste Verlautbarungen habe es nur Beschwichtigungen gegeben, aber bald darauf empfahl die Stadt Leverkusen ihren Einwohnern, vor der Haustür die Schuhe auszuziehen – um die Kontaminationen unter den Sohlen nicht ins Haus zu tragen. Brombachs Fazit: Wer einmal lügt, dem müsse man immer auf die Finger schauen.

Brigitte Hincha-Weisel von der CBG führte dann die Arbeitsplatzvernichtung der letzten Jahre ins Feld: „Bei Bayer mussten wiederholt Beschäftigte die Zeche für Fehlentscheidungen des Vorstands übernehmen. Schon im Zuge der Kostenlawine durch den Unkrautvernichter Glyphosat wurden 12.000 Arbeitsplätze vernichtet. Zu Jahresbeginn 2024 hat der Vorstand erneut einen ‚erheblichen Personalabbau‘ angekündigt. Derweil kassiert der jetzige Vorstandschef Bill Anderson ein Jahressalär in Höhe von 8,5 Millionen Euro – das 69-fache des Durchschnittslohns eines Bayer-Mitarbeiters.

Und trotz des ansteigenden Kostenrisikos versuche der Konzern mit massiver Einflussnahme in die Politik, Glyphosat weiter im Verkauf zu halten, ohne aber auch für die damit verbundenen Risiken einstehen zu wollen. Allein an den Schaltstellen der EU in Brüssel seien derzeit 70 Lobbyisten für Bayer aktiv. Auch US-Politiker beider Parteien seien allein in diesem Jahr mit insgesamt 129.000 $ „bedacht“ worden.

Ebenfalls für die CBG sprach Lars-Ulla Krajewski die Problematik um die bis 1983 fabrizierten PCB (Polychlorierte Biphenyle) an. Das wurde weltweit als Isolierungsmittel in Wandfarben, elastischen Fugenmitteln und Dämmplatten im Baugewerbe verwendet – gern auch in Kindergärten, Schulen und sonstigen öffentlichen Einrichtungen. Es gilt laut WHO als eines der 12 giftigsten zivil genutzten Chemikalien – und das mit „Ewigkeitsfaktor“, das sich über tierisches Fett und sogar Atemluft im Körper anreichern kann. Die Liste der möglichen Gesundheitsfolgen sind lang – unter anderem Krebs, ADHS, Leber-, Nieren- und Hautschädigungen. Ebenso groß ist die schon jetzt damit verbundene Last an Entschädigungsforderungen – von Erkrankten und von Kommunen, die ihre Gebäude teuer sanieren mussten.

Ein weiteres kritisches Themengebiet sprach Annemarie Völling von der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (AbL) an: die fragwürdige Entwicklung von gentechnisch veränderten Nutzpflanzen und die zunehmende Praktik, Patente auf Pflanzen zu erwirken. Auch hier drängt Bayer die Landwirte in die Abhängigkeit, ohne selbst Verantwortung für evtl. auftretende Folgen übernehmen zu wollen.

Als Gast aus Frankreich sprach der Aktivist Andy Battentier von der Campagne Secrets Toxiques ein Schlusswort und versprach angesichts der diesmal überschaubaren Schar von Protestierenden, sich für eine stärkere internationale Vernetzung der verschiedenen Umweltverbände einzusetzen – und so für eine größere Präsenz im nächsten Jahr zu sorgen.

Weitere Info hier:

www.CBGnetwork.org

https://www.abl-ev.de

Text + Fotos, außer Luftaufnahmen: Udo Slawiczek

Luftaufnahmen: Christoph Schnüll