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Tatvorwurf Liebe

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Sie wurden vor 80 Jahren hingerichtet: Franciszek Banaś und Wacław Ceglewski. Der Vorwurf: „Verbotener Umgang“ mit Einheimischen. Zum 80. Jahrestag der Hinrichtung gibt es nun endlich einen Gedenkstein, der auch ihre Namen nennt. Er wurde am 14. August 2022 in einer Gedenkveranstaltung in den Bockholter Bergen eingeweiht.

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Los ging es um 15:00 Uhr auf einem staubigen Parkplatz – bei sengender Hitze. Ab und zu linderten kleine Wölkchen die Hitze. Dort nämlich am Rand des Wanderparkplatzes am Schiffahrter Damm stand bisher ein schlichtes Holzkreuz zum Gedenken. Der eigentliche Hinrichtungsplatz ist der heutigen Trasse des Schiffahrter Dammes gewichen.

Nichtsdestotrotz wollten 80 Leute der beiden Polen in der Gedenkversammlung, organisiert von der Ortsgruppe Münster der VVN-BdA und der Grevener Ortsgruppe der Grünen, gedenken und hatten sich seitlich des Gedenkortes im Schatten versammelt.

https://muenster.vvn-bda.de/2022/06/18/gedenkveranstaltung-banas-ceglewski

Der neue Gedenkstein war noch verhüllt. Der Historiker Christoph Leclaire (VVN-BdA) eröffnete die Versammlung. Er hatte das Schicksal der beiden Polen schon vor 20 Jahren kennengelernt, als er für seine Magisterarbeit über die Zwangsarbeiter:innen im Amtsbezirk Greven geforscht hatte.

Zunächst begrüßte er die Anwesenden und stellte vor: Den stellvertretenden Bürgermeister von Greven, Theo Große-Wöstmann (SPD), den Generalkonsul der Republik Polen, Jakub Wawrzyniak, er war extra aus Köln angereist, Lore Hauschild, Mitglied der Grünen und Ratsfrau für die Grünen in Greven, Beata Arabasz vom Integrationsrat Münster und den emeritierten Pfarrer Josephat aus Gimbte, einem kleinen Ort, der zu Greven gehört.

Christoph Leclaire hatte auch ein spezielles Grußwort für die Versammlung mitgebracht. Er verlas ein Grußwort von Augusty Zoń, der der Neffe von Franciszek Banaś ist. Er hatte erst vor wenigen Jahren durch Christoph Leclaires Recherchen vom Schicksal seines Onkels erfahren. Aus gesundheitlichen Gründen konnte Augusty Zoń nicht persönlich teilnehmen.

Augusty Zoń bedankte sich aus ganzem Herzen bei Christoph Leclaire dafür, dass er sich mit „der Geschichte, die sich vor 80 Jahren ereignet hat, weiterhin beschäftigt“. Das löse immer noch in ihm und seiner Familie „traurige Erinnerung aus“. Und er ergänzt: „Das Denkmal, das Sie initiiert haben, wird zum ständigen Zeichen in der Geschichte der Versöhnung und Aufarbeitung der komplizierten und noch nicht vollständig geklärten Ereignisse. Der tragische Tod von Franciszek Banaś und Wacław Ceglewski sind ein Teil der polnischen Leidensgeschichte“.

Danach hielt der stellvertretende Bürgermeister Theo Große-Wöstmann sein Grußwort.

„…weil wohl jede polnische Familie eine direkte Verbindung zu den Grauen des zweiten Weltkriegs hat“

Die erste Rede hielt der Generalkonsul der Republik Polen, Jakub Wawrzyniak: Auch er bedankte sich für die langjährige und „gar nicht so einfache“ Arbeit zum Gedenken an Franciszek Banaś und Wacław Ceglewski. Und er hob hervor: „Die natürlich auch viele Menschen in Polen bewegen kann. Weil – das wissen Sie vermutlich – weil wohl jede polnische Familie eine direkte Verbindung zu den Grauen des zweiten Weltkriegs hat“. Auch seine Familie habe so eine Geschichte. Seine Großmutter war Zwangsarbeiterin in Bayern, sein Großvater inhaftiert im KZ Dachau gewesen. Deshalb sei es bei ihm nicht nur „Kraft des Amtes“, sondern auch ein persönliches Anliegen, dieser Opfer zu gedenken. Er fühle deshalb eine große Dankbarkeit, wenn solche Gedenkveranstaltungen weiterverfolgt werden und weiterhin solche Gedenkorte besucht werden können.

Er zieht aber auch eine Linie zu heute und verurteilt den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine „zwei Flugstunden entfernt“. Dabei ruft er zu unermüdlichem Engagement gegen den Krieg auf.

Was mir bei seiner Rede aufgefallen ist: Er hat dabei leider nicht den Begriff Faschismus und in keinem Wort den Rassismus, der erst sowas ermöglicht hat, benannt! Ich hoffe, das ist nur seinem Diplomatenstatus geschuldet.

„Liebe als Straftatbestand“

Im Anschluss analysierte Lore Hauschild das System der Zwangsarbeit im deutschen Faschismus:

„Die wehrfähigen deutschen Männer waren im Krieg, so dass der faschistische Staat, um Landwirtschaft und industrielle Produktion am Laufen zu halten, die Arbeitskraft von polnischen und russischen Zwangsarbeitern ausbeutete. Auch wenn der Umgang mit ihnen im Einzelfall unterschiedlich sein konnte, so wurden sie meist nur so weit versorgt, dass ihre Arbeitskraft erhalten blieb, schlechtes Essen, menschenunwürdige Unterkunft, Schikanen und Kontrollen, Prügelstrafen, Verpflegungsentzug, Arrest gehörten zum Alltag. Besonders die Menschen aus Polen und Russland galten nach der NS-Rassenlehre als sogenannte ‚slawische Untermenschen‘.“

Und weiter:

„Eine sichtbare Unterscheidbarkeit war nicht garantiert, deshalb mussten Polen, also auch Franciszek Banaś und Wacław Ceglewski, ein deutlich sichtbar aufgenähtes ‚P‘ auf ihrer Kleidung tragen. Damit standen sie außerhalb schützender Gesetze.

Zu dieser Kennzeichnungspflicht gehörten weitere Ausgrenzungsmaßnahmen:

  • Nur so viel Nahrung, dass die Arbeitskraft erhalten blieb, immer am Existenzminimum
  • Verbot, den zugewiesenen Aufenthaltsort zu verlassen
  • Ausgangssperre ab Dämmerung
  • Nichts durfte ihnen gehören außer der Kleidung. Kein Feuerzeug, kein Fahrrad, nichts
  • Gänzlicher Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben, auch dem Gottesdienst
  • Öffentliche Verkehrsmittel: verboten

Das heißt im Klartext:  Zwangsarbeiter waren zu einem unwürdigen, schrecklichen Leben gezwungen, das aus stetiger Ausbeutung und Bedrohung bestand, wenig Hoffnung, kaum aushaltbar.“

Und sie zieht das Fazit:

Liebe und Menschlichkeit als unvereinbar mit Rassismus und Nationalismus erkannt, stellten eine für den Faschismus unkontrollierbare Gefährdung dar. Deshalb griff das nationalsozialistische Herrschaftssystem regulierend und strafend in das Private, in das Intime ein. Mit Drohung und Angst, mit Terror und Gewalt.

„Faschismus funktionierte auch in Greven, hier bei uns“

Sie ging danach auf das konkrete Verbrechen ein:

Franciszek Banaś wurde durch Denunziation vorgeworfen, eine Liebesbeziehung zu einer Grevenerin zu haben“, so Lore Hauschild. Er wurde deshalb hingerichtet.

Was bei diesen Fällen oft vergessen wird, ist das Schicksal und die Bestrafung der Frauen“, ergänzt Lore Hauschild, „Der Grevenerin, Anna R., wurde Rassenschande und Ehrvergessenheit vorgeworfen, sie wurde verhaftet und kam bis zum Kriegsende in das KZ Ravensbrück“.

„Das Übel des Rassismus wirkt in Köpfen und Seelen der Menschen weiter und bestimmt ihr Verhalten“

Aber Lore Hauschild kritisiert auch den heutigen Rassismus: Denn genau darauf beruhe es, dass „Frauen in der Textilfabrik in Bangladesh zu Tode kommen“, dass „Kinder und Männer sich beim Kobalt-Abbau im Kongo oder Lithium-Abbau in Chile in Krankheit und Tod schuften“ oder dass „zigtausend Menschen, farbige Menschen, ihr Leben auf der Flucht in dem riesigen Grab Mittelmeer verloren haben und verlieren werden“. Oder Menschen in Kriegen im Jemen, in Syrien, in Kurdistan, in Mali und auch in der Ukraine getötet werden.

Aus den Protokollen einer Vernehmung

Nachdem Christoph Leclaire noch einmal das Leben und die Biografien der beiden Polen skizziert hatte (hier auch nachzulesen) und dem Steinmetz Götz Kerkemeier für seine Arbeit und seinen (nicht nur finanziellen) Einsatz gedankt hat, enthüllten der Konsul Jakub Wawrzyniak und Christoph Leclaire den Gedenkstein. Pfarrer Josephat segnete de Stein ein. https://www.hagalil.com/2022/08/banas-ceglewski/

Vor der abschließenden Kranzniederlegeng umrissenen Beata Arabasz und Christoph Leclaire die Geschehnisse der Hinrichtung am 14. August 1942 in Deutsch und Polnisch und lasen eine Zeugenaussage eines Gendarmen aus den Ermittlungsakten aus den 1960er Jahren vor:

„Kurze Zeit darauf konnte ich aber erkennen, dass eine Hinrichtung stattfinden sollte. Von der Straße aus sah ich, dass ein Galgen in den Bockholter Bergen aufgebaut war.
Etwas später kamen mehrere Autos aus Münster mit Beamten der Gestapo und einige Zivilisten und ein Wagen mit zwei Männern, die die Hände auf dem Rücken gefesselt hatten. Es waren zwei Polen, vermutlich aus Greven, die hingerichtet werden sollten. Einer war etwa 28 Jahre alt, groß und kräftig und trug einen blauen Anzug mit weißen Nadelstreifen; er hatte ein gutes Äußere. Der zweite war kleiner, auch etwas jünger als der Große und nicht so gut gekleidet.
Nachdem diese beiden Polen zur Hinrichtungsstätte gebracht worden waren von den Gestapoleuten, wurde ein Schriftstück verlesen. Von der Straße aus konnte ich nicht verstehen, was vorgelesen wurde. Nach der Verlesung des Schreibens sah ich, wie zwei Polen heraufgingen, den beiden je einen Strick um den Hals warfen, und in dem Moment fiel der Boden weg und die Aufhängung war passiert. Ais sie den Strick umgelegt bekamen, schrien beide ganz furchtbar. Nachher zuckten sie nur noch kurz. Nach 17 Minuten, wie ich später hörte, wurden sie erst heruntergelassen. Der mir bekannte Stadtarzt Dr. med. Althoff aus Münster stellte den Tod fest. Während die beiden Toten noch hingen, wurden die Grevener Polen von der linken Straßenseite geholt und an der Richtstätte vorbeigeführt.“

Die damals Beteiligten wurden aber nicht zur Rechenschaft gezogen. Das Verfahren wurde eingestellt.

Die Geschehnisse der Hinrichtung am 14. August 1942 erzählt von Beata Arabasz und Christoph Leclaire in Deutsch und Polnisch bei MünsterTube:

https://youtu.be/cMBaXyopWaU?t=449

Weitere Videos der Veranstaltung bei MünsterTube: https://www.youtube.com/watch?v=ITFBXfaxeI8&list=PLMX8oAX3ZfIhJCPLtqWAjiwtd7d-14btp