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Impfstoffnationalismus verhindert Ende von Corona

Hans-Dieter Hey

Epidemien und ihre Varianten entstehen dort, wo nicht genügend geimpft wurde oder die medizinischen Voraussetzungen nicht vorhanden sind. Das wird besonders mit der neuen Omicron-Variante des Corona-Virus sichtbar. Öffentlich lässt die Politik nicht nach, davon zu sprechen, dass die Befreiung vom Virus eines globalen Handelns bedarf. Davon überzeugte erst kürzlich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Ansprache zum Antritt des neuen Bundeskanzlers Olaf Scholz. Attac Köln und die Kölner Pappnasen Rotschwarz informierten heute in der Kölner Innenstadt über Impfstoffnationalismus. Weitere Infos hier! Video hier!

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Allen Solidaritätskundgebungen zum Trotz

„Warum sind in Afrika die Gesundheitssysteme nicht so versorgt, dass die Vulnerablen und die Menschen in den Einrichtungen geschützt sind? Wir können alle geimpft sein, und dann kommt die nächste Variante von irgendwo her und wir fangen wieder bei ‚Null‘ an“, fragt sich die Medizinethikerin Prof. Dr. Christiane Woopen in der Fernsehsendung Markus Lanz am 8. Dezember. 1)

Denn längst hätte man weltweit bei der Bekämpfung weiter sein können, um dem Wunschzettel „SDG-3-Ziele“ (SDG=Sustainable Development Goals, Nachhaltige Entwicklungsziele) der Weltgesundheitsorganisation näher zu kommen, nämlich übertragbare Krankheiten einzudämmen und ein gesundes Leben zu gewährleisten. Mit dem gegenwärtigen Impfstoffnationalismus sind wir weit davon entfernt. „Die Weltgesundheitsorganisation hat festgestellt, dass 500.000 durch die Impfung in Europa gerettet werden konnten“, so Hellmut Samonigg, Rektor der MedUni Graz in einem Streitgespräch am 8. Dezember mit einer „Corona-Aktivistin“. 2) Und was ist mit dem Rest der Welt, der sich als Tragödie erweist?

„Allen Solidaritätsbekundungen zum Trotz hatten sich im Frühjahr 2021 ganze zehn Staaten 76 Prozent des verfügbaren Impfstoffes gesichert“, und weiter: „Offenbar ist das kapitalistisch dominierte Staatensystem nicht in der Lage, Impfstoffe als öffentliches Gut zu behandeln, um dem entsprechenden Nachhaltigkeitsziel der Vereinten Nationen (SDG 3) Geltung zu verschaffen“, so Prof. Dr. Klaus Dörre, Gründungsmitglied des „Instituts Solidarische Moderne“ und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac. 3)

Weltgesundheitsorganisation als zahnloser Tiger

Rechtliche Möglichkeiten zur solidarischen Herstellung und Verteilung von Medikamenten in dieser Pandemielage lagen vor, doch sie wurden gerade innerhalb Europas von den Pharmakonzernen stark bekämpft, weist „statista“ nach. 4) Besonders die letzte Kanzlerin Angela Merkel hatte sich gegen ihre Anwendung entschieden. Denn das kapitalistische Patentregime sprach dagegen, das seine Patente erfolgreich in seinem Patentpool sichert. Deutschland, Europa und alle anderen großen Industrienationen verhindern allerdings genau das“, so Anne Jung in „medico international“. 5) Medico tritt mit zahlreichen Organisationen aus 30 Ländern unter dem Aufruf “Patente töten” für Arzneimittel im öffentlichen Interesse und gegen die Macht der Pharmakonzerne ein. Davon, dass die Argumente der Gegner allein vorgeschoben sind, ist „Telepolis“ überzeugt. 6)

Die WHO hatte sich längst für eine internationale Regelung zur gemeinsamen Nutzung und Daten von Impfstoffen zur Pandemiebekämpfung eingesetzt. „Bisher unterstützen mehr als 100 Länder (darunter China und die Vereinigten Staaten) und Hunderte von Organisationen, darunter auch das Wissenschaftsjournal „Nature“, eine von Indien und Südafrika geführte und von der WHO unterstützte Kampagne „für einen vorübergehenden Verzicht auf geistige Eigentumsrechte an COVID-19-Impfstoffen und Medikamenten“, so das Wissenschaftsmagazin „NATURE“ vom 9. Dezember. Vor 2024 komme man in der Sache wohl nicht weiter – wenn überhaupt. Jedenfalls nicht, „solange die reichen Länder darauf bestehen, den größten Teil der verfügbaren Impfstoffvorräte aufzukaufen, ohne weitere Produktionskapazitäten zur Verfügung zu stellen, und solange neue Varianten wie Omicron auftauchen.“ 7)

Verfrühter Optimismus in der Pandemie

So rächt sich, dass vor allem die Länder des Südens aus nationalem Egoismus in der gesundheitlichen Vorsorge allein gelassen werden. Denken wir an das Drama um das Ebola-Virus, und nun Corona! Selbstverständlich wären die meisten Länder mit einer Impfstoffentwicklung, der Verteilung, Verabreichung und medizinischer Nachsorge überfordert gewesen, aber nur, weil die Weltgemeinschaft durch kapitalistische Verhaltensweisen bestimmt wird und die notwendige solidarische Unterstützung für Länder mit weniger Chancen ausbleibt.

Ein Land hält sich nicht an die kapitalistische Dominanz. Das kleine Kuba, das durch den westlich-kapitalistischen Block – allen voran USA und Europa – derart drangsaliert und ökonomisch ausgegrenzt wird, hat einen eigenen, erfolgreichen Impfstoff „Abdala“ mit 92prozentiger Wirksamkeit entwickelt und stellt diesen auch armen Ländern zur Verfügung. An Venezuela gingen 9 Mio. Impfeinheiten. 8) Das macht unsere ganze Schande noch einmal überdeutlich.

Der vom neuen Gesundheitsminister Karl Lauterbach verkündete Optimismus zum baldigen Ende der Pandemie könnte verfrüht sein. Die Pandemie ist erst dann vorbei, wenn sie für alle Länder und Bevölkerungsschichten vorüber ist. Deshalb ist internationale Solidarität so wichtig. (11.12.2021, Hans-Dieter Hey, Fotos: Berthold Bronisz)

Ergänzung: Wenn Bezug, Verteilung und geeignetes Personal mit Fachwissen und Training schon in Deutschland Probleme bereiten, wie ist es erst in Mali, Südafrika, Kongo, Bangladesch oder Myanmar? Es fehlt sowohl der Impfstoff als auch die Versorgungsstrukturen. In Deutschland wurde das Gesundheitswesen durch Privatisierung und das Fallpauschalensystem geradezu ruiniert. Weltweit wären allerdings 120 Firmen in der Lage, mRNA-Impfstoffe produzieren. 9)

Ein Redebeitrag findet sich hier!

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1), ZDF, „Markus Lanz“ v. 09.12.2021, Prof. Dr. Christiane Woopen
2) Kleine Zeitung Graz v. 8.12.2021, Streitgespräch MedUni-Rektor vs Corona-Aktivistin
3) Dörre, Klaus, Die Utopie des Sozialismus, Kompass für eine Nachhaltigkeitsrevolution, 2021, S. 214,215
4) https://de.statista.com/infografik/26289/laender-die-fuer-oder-gegen-die-freigabe-der-covid-impfstoff-patente-sind/
5) medico, Aufruf „Patente töten“, https://www.medico.de/corona-solidaritaet-in-zeiten-der-pandemie
6) https://www.heise.de/tp/features/Patentschutz-fuer-Corona-Impfstoffe-Warum-die-Argumente-der-Gegner-vorgeschoben-sind-6050370.html6)
7) https://www.nature.com/articles/d41586-021-03616-x
8) https://amerika21.de/2021/11/255629/kuba-schickt-impfstoffe-nach-venezuela
9) https://www.process.vogel.de/corona-ausbruch-zwingt-chemieunternehmen-in-china-zu-produktionsstopps-a-1079809/?cmp=nl-98&uuid=22de2b73a64f9ab4e08fd5d82f9998e7